Der große deutsche Schriftsteller Hans Fallada verlebte in der Idylle der Feldberger Seenlandschaft elf seiner glücklichsten Jahre – eine Spurensuche auf dem Carwitzer Anwesen am Bohnenwerder – einem Anker in einem stürmischen Leben.
Der folgende Beitrag über Hans Fallada ist 2024 im Magazin Garten-Tour erschienen.
Es gibt sie noch, jene Orte, an denen Fantasie und Wirklichkeit verschwimmen dürfen, an denen Kindheitsträume wahr werden, an denen wir uns unweigerlich heimisch fühlen. Orte wie Carwitz inmitten der Feldberger Seenlandschaft, kurz vor der mecklenburgischen Grenze zum Land Brandenburg. In diesem von Wald und Wasser umgebenen, über 800 Jahre alten Fischerdörfchen werden die Erinnerungen an einen der beliebtesten deutschen Schriftsteller wachgehalten.
Zwischen 1933 und 1944 verbrachte Hans Fallada, der Autor des weltbekannten Romans „Kleiner Mann – was nun?“, in der Abgeschiedenheit eines Bauernhofes nicht nur seine schaffensreichsten Jahre. Was weniger bekannt ist: Hier widmete er sich auch seiner zweiten großen Leidenschaft, dem Betreiben einer eigenen Landwirtschaft. Dabei bewies er insbesondere beim Imkern ein hervorragendes Händchen.
Carwitz, die alte Büdnerei Nummer 17
In der Büdnerei Nummer 17 Die Anfahrt zum alten Fallada-Anwesen führt von Feldberg aus fünf Kilometer in den Süden, vorbei am Naturschutzgebiet „Hullerbusch und Schmaler Luzin“ bis zu einer letzten Linkskurve. Nur wenige hundert Meter später begrüßt dann eine hügellose Windmühle stoisch die Gäste in Carwitz. Nun sind es noch gut 1.000 Meter bis zur ehemaligen Büdnerei Nummer 17 am anderen Ende des Dorfes, dem einstigen Wohnhaus des Schriftstellers.
Seit 1995 betreibt die Hans-Fallada-Gesellschaft auf dem 15.000 Quadratmeter großen Anwesen ein faszinierendes Museum, bei dem weite Teile von Haus und Hof besichtigt werden können. Man muss kein belesener Fallada-Fan sein, um die prächtigen Außenanlagen zu genießen. „Den wieder angelegten Garten mit seinen Pfingstrosen, Phlox, Glockenblumen, aber auch Beerensträuchern, Kräutern und Gemüse können sich die Besucher anschauen – natürlich auch das berühmte Dreiecksbeet, das Falladas Ehefrau Anna Ditzen gehegt und gepflegt hat“, empfiehlt Stefan Knüppel, Leiter des Hans-Fallada-Hauses in Carwitz.
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Bei dem 40 Quadratmeter großen Beet, das seitlich der Veranda bis zum Obstgarten hin verläuft, handelt es sich um ein Blütenmeer aus den unterschiedlichsten Stauden und Sommerblumen. Einige der altehrwürdigen Pfingstrosen und Rittersporne erblühen Jahr für Jahr sogar noch in der Originalbepflanzung. Beim Bewundern des von Feldsteinen umrahmten Beetes beschleicht einen beinahe das Gefühl, dass die damalige Hausherrin Anna Ditzen gleich mit Eimerchen und Schaufel um die Ecke biegt … Denn Anna Ditzen, genannt Suse, war die eigentliche Gärtnerin im Hause Fallada, „sie besaß ein gutes Händchen“.
Erfolgsschriftsteller Hans Fallada wird Landwirt
Hans Fallada hingegen war der Chef der Landwirtschaft „und man muss ihn sich nicht jeden Tag im Beet mit krummem Rücken vorstellen“, sagt Museumsleiter Knüppel. Vielmehr habe er das Personal und die Arbeit eingeteilt, die Bestellpläne erarbeitet und den Düngerbedarf errechnet. „Wenn es personell eng wurde, dann ging er mitunter auch mit in die Beete, weil es nötig war.“ Flucht aus der Großstadt aufs Land Geboren wurde Hans Fallada am 21. Juli 1893 unter seinem bürgerlichen Namen Rudolf Ditzen in der Hansestadt Greifswald. „Der Vater entstammte dem Beamtenadel, die Mutter einer Pastorenfamilie.
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Den hohen Erwartungen seiner bildungsbürgerlichen Familie konnte er nicht gerecht werden“, erklärt Knüppel. „Er wollte Schriftsteller werden und hat schon in seiner Kindheit und Jugendzeit seine psychischen Probleme in Gedichten zu verarbeiten versucht. Ein junger Mann sollte doch eigentlich lebensfroh in die Zukunft schauen, das war bei Fallada nicht der Fall.“ Bereits in jenen Jahren belegen Aufenthalte in Entzugskliniken und Haftanstalten die tragische Seite seines Lebens.
Nach Stationen in Bad Doberan, Hamburg und Neumünster zog er mit seiner Frau und Sohnemann Ulrich Anfang der 1930er Jahre vorrübergehend nach Berlin. „Er war immer den Verlockungen ausgesetzt. Auch um diesen Reizen zu entkommen, verließ er die Großstadt und zog in die Feldberger Seenlandschaft.“ Das verschlafene Inseldörfchen Carwitz erwies sich für den oft strauchelnden Schriftsteller als der beste Ort in seinem Leben. „Hier war er sehr produktiv, hier sind zwei seiner Kinder geboren und alle drei größtenteils aufgewachsen, hier hatte er das erste Mal in seinem Leben einen Anker“, sagt Stefan Knüppel.
Hans Fallada – der Imker wider Willen
Im Imkern hatte Fallada bald seine Passion gefunden, darauf bezieht er sich in vielen Briefen und in einem recht amüsanten Kapitel seines Buchs „Heute bei uns zu Haus“ aus dem Jahre 1941. Es trägt den Titel „Bienen im Garten – Honig des Lebens“. Darin ist nachzulesen, dass der Schriftsteller zunächst alles andere als begeistert war von der Idee mit der eigenen Bienenzucht. Laut Stefan Knüppel kam Fallada nämlich nur notgedrungen zur Imkerei: „Er hatte 70 Obstbäume gepflanzt, aber in Carwitz gab es dafür nicht genug Bienenvölker.“
Also machte der Meister Ende der 1930er Jahre Nägel mit Köpfen: Er besorgte sich insgesamt zwölf Bienenstämme und baute ihnen ein massives Häuschen, das im Garten zwischen Haus und Carwitzer See aufgestellt wurde. Dieses Bienenhäuschen war „eigentlich viel zu groß und viel zu teuer. Aber im Ausgeben war Fallada eifrig, halbe Sachen machte er nicht“, berichtet der Museumsleiter. Folglich bestellte Fallada sich Fachliteratur und wurde bald ein guter Imker mit allerlei Spezialwissen.
Eine „bedeutende Einnahmequelle“ war das neue Hobby laut Stefan Knüppel zwar nicht. Allerdings: „Im Krieg hat er dennoch davon profitiert: Honig war eine attraktive Tauschware und man hatte immer etwas, das man der Familie schicken konnte.“ Für das Wohl seiner Bienen ließ Hans Fallada sich einiges einfallen. So pflanzte er im Vorgarten des Hauses mit der Gewöhnlichen Seidenpflanze (Asclepias syriaca) eine opulente Bienenweide am Gartenzaun an. Bei diesem Carwitzer Prachtexemplar, das eigentlich in Nordamerika zu Hause ist, soll es sich Botanikern zufolge heute um eines der größten Vorkommen dieser Art in ganz Deutschland handeln.
Carwitzer Anwesen – ein falladaeskes Ambiente
Hans Falladas Bienenhäuschen kann übrigens besichtigt werden, 2017 wurde es umfassend saniert. „Unsere Bienenkästen sind nicht mehr die originalen, aber original aus Falladas Zeit. Die Wiederbeschaffung war nicht einfach, uns im Zuge der Sanierung des Bienenhäuschens aber sehr wichtig.“ So hat der Museumsleiter damals eigens in einer kleinen Imkerei-Fachzeitschrift inseriert – und Glück gehabt. „Fünf Kästen erhielt ich schließlich aus Dresden und einen aus der Region. Die haben auf den Zentimeter gepasst, sogar noch in die Kerben, die Fallada einst gesetzt hat.“
Falladas extravagante Bienenkästen tragen den Namen „Wolfenbüttler Kuntzsch-Zwillinge“. „Heute würde man so nicht mehr imkern“, weiß Stefan Knüppel. Neben dem Imkern bewies Hans Fallada auch ein gewisses handwerkliches Geschick. So stammt beispielsweise die Idee für die hübsche Sitzecke am Seeufer von ihm. Jene kleine Oase wird gern für Kinderlesungen genutzt, denn die ein oder andere Erzählung aus den beliebten „Geschichten aus der Murkelei“ spielt unmittelbar auf dem Anwesen der Familie Ditzen. In diesem falladesken Ambiente verschmelzen Fantasie und Wirklichkeit mitunter zu einem einmaligen Erlebnis. In solchen Momenten würde es wohl wenig überraschen, wenn plötzlich Fridolin, der freche Dachs, des Weges schleicht.
Die meisten seiner Märchen, auch das ist überliefert worden, hat Fallada sich zunächst für seine eigenen Kinder ausgedacht und dann gemeinsam mit ihnen weitergesponnen. Schreiben wie im Rausch Nun wird es höchste Zeit, das Hans-Fallada-Haus zu betreten, das in den 1990er Jahren umfassend saniert worden ist. „Die originalgetreue Nachbildung von Falladas Zuhause ist uns wichtig. Wir wollen genau zeigen, wie er gelebt und gewirkt hat. Wir wollen zeigen, was ein Buch nicht unbedingt zeigen kann: den Menschen dahinter“, sagt Stefan Knüppel.
Wie im Rausch gearbeitet – und gelebt
Hier, in der „Carwitzer „Welteneinsamkeit“, entstand zwischen 1933 und 1944 der größte Teil des atemberaubenden Erzählwerkes von Hans Fallada. Dazu gehören so bekannte Werke wie „Wer einmal aus dem Blechnapf frisst“, „Der Eiserne Gustav“, „Wolf unter Wölfen“. Wie im Rausch peitschte sich der Autor beim Schreiben von Blatt zu Blatt: 25 bis 30 Seiten pro Tag waren keine Seltenheit. Zwei Kannen Kaffee, gut 120 Zigaretten am Tag und Schnaps brauchte der Schriftsteller allerdings, um „in Gang zu kommen“. Zudem gab es strenge Regeln.
So hatte in der Büdnerei Nummer 17 absolute Ruhe zu herrschen, wenn Vater arbeitete. Die Kinder duften dann weder im noch vor dem Haus spielen, allenfalls auf dem hinter der Scheune gelegenen Hof. Der Erzählung nach wurden von Anna Ditzen vor dem Start eines neuen Buches schnell noch alle Scharniere im Haus geölt.
Der Drogenkonsum des Schriftstellers soll erst nach der Carwitzer Zeit wieder zugenommen haben. „Kleinere Probleme hatte er hier dennoch: Fallada hat sehr zurückgezogen gelebt. Es gab aber auch Momente, in denen plötzlich Leser oder Anhänger vor der Tür standen – das mochte er gar nicht“, sagt Stefan Knüppel. Bei Falladas zu Haus Die meisten Räume wie das Arbeitszimmer, Elternschlafzimmer, Kinderzimmer, die Veranda, Küche oder das Esszimmer können heute wieder besichtigt werden.
Das Hans-Fallada-Museum in Carwitz
Die Familie Ditzen „war die wichtigste Quelle für die Wiederbeschaffung des Original-Mobiliars“, sagt Stefan Knüppel. Auch viele Menschen aus dem Dorf hatten noch Möbelstücke aus Falladas Zeit aufbewahrt und dem Museum übergeben. „Das Besondere an unserem Haus ist, dass man somit in die tatsächliche Lebenswirklichkeit Hans Falladas eintauchen kann.”
Für Stefan Knüppel, der das Museum seit fast 20 Jahren mit großem Engagement leitet, ist „der „authentische Ort als authentisches Zeitzeugnis“ digital nicht zu ersetzen. „So wie dieses Haus atmet und die Gäste empfinden lässt: Hier hat Fallada wirklich gesessen und geschrieben! Es soll auch in 50 Jahren noch da sein, das ist eine Lebensaufgabe.” Beim Verlassen des Museums fliegen plötzlich ein paar Bienen von Blume zu Blume. „Hin und wieder haben wir Bienen auf dem Anwesen“, sagt Knüppel bei der Verabschiedung. „Unser Gärtner ist Imker und wenn er genügend Völker hat, stellt er eines auf dem Fallada-Anwesen ab. Was gut klappt. Allerdings ein wenig abseits. Jenseits der Touristenströme.“
INFO
Hans-Fallada-Gesellschaft e. V. Hans-Fallada-Museum Zum Bohnenwerder 2 17258 Feldberger Seenlandschaft OT Carwitz Tel. +49 39831 20359 museum@fallada.de fallada.de
Öffnungszeiten April–Oktober: Dienstag–Sonntag, Feiertag 10–17 Uhr November–März: Dienstag–Sonntag, Feiertag 13–16 Uhr geschlossen: 24.12.–1.1.