Städtisches Flair wechselt sich ab mit Wiesen und Feldern, mit einsamen Wäldern und Feuchtgebieten: Wer den Müritz Radweg in Angriff nimmt, bekommt einiges geboten – und sammelt unvergessliche Eindrücke von Mutter Natur.
Startschuss fällt in Waren an der Müritz
Trinkflasche? Check! Glutenfreier Müsliriegel? Check! Luftpumpe? Check! Handy? Check! Es kann losgehen. Wobei, zu Fuß will ich die Müritz nicht umrunden. Verbirgt sich hinter dem „kleinen Meer” doch ein Superlativ – „Deutschlands größter Binnensee”. Da vertraue ich trotz durch den Hometrainer gestählter Waden lieber auf ein flottes Zweirad mit Gangschaltung.

Mein Startschuss fällt bei Sonnenschein an der Warener Kietz-Brücke. Das Wasser der Müritz funkelt mir entgegen, zwei Graugänse schnattern ein Abschiedsständchen. Mit leichtem Gegenwind geht es Richtung Warener Hafen. Nach wenigen Metern nehme ich Witterung auf. Ein verführerischer Duft steigt mir in die Nase. Die Fritten-Bude hat schon geöffnet. Zeit für eine erste Stärkung? Nee, nach den mickrigen Metern wäre das reichlich peinlich. Ich bleibe standhaft. Kurs Papenberg, immer den Müritz-Radweg entlang.
Hinter Papenberg schrumpft das Handynetz
Auf der Rosa-Luxemburg-Straße in Waren an der Müritz gleich der erste Anstieg, das erste Zwicken in den Kniekehlen. Langsam laufe ich heiß. Noch komme ich ohne Antiwadenkrampf-Doping aus und ignoriere die Apotheke rechter Hand. Ich biege ab auf den Federower Weg – und plötzlich ist die Zivilisation wie abgeschnitten. Ich bin auf einmal mitten in der Natur, das Plattenbau-Panorama des Papenbergs hinter mir wird mit jedem Pedaltritt kleiner. Auch das Handynetz beginnt zu schrumpfen, Empfang nur noch sporadisch.

Auf solider Asphaltdecke ohne große Steigungen radele ich gen Federow, dem nördlichsten der sieben Eingangstore in den Müritz-Nationalpark. Die kleine 200-Seelen-Gemeinde ist mein erster Halt – denn sie hat einiges zu bieten. Unter anderem eine Hörspielkirche.
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In dem Feldsteinbau aus dem Ende des 13. Jahrhunderts, der jährlich über 10 000 Besucher anlockt, kann man zwischen Juli und September zum Beispiel Klassikern der Dichtkunst in besonderer akustischer Atmosphäre lauschen.
Potsdamer Platz auf dem Müritz Radweg?
Nur 50 Meter entfernt lädt das „Alte Gutshaus Federow” zum Mittagsschmaus ein. Unter anderem steht Federower Wildschweingulasch auf der Karte. Wer‘s günstiger und schlichter mag, kriegt weiter vorne im Ort an einem Kiosk Bockwurst oder Boulette für unter zwei Euro. Ich genehmige mir lediglich einen Schluck Wasser und einen Bissen vom Müsliriegel. Übrigens direkt am Potsdamer Platz, wie mir ein Holzschild weismachen will. Das Sony Center hatte ich größer in Erinnerung.

Weit und breit keine Menschenseele, nur ein Specht
Ich lasse den Speckgürtel hinter mir und folge weiter dem Müritz Radweg. Nun bin ich wirklich allein im Wald. Hier hört mich niemand schreien. Der Priesterbäker See schimmert geheimnisvoll, während ich Kilometer für Kilometer in die südliche Müritzregion vordringe. Von Boek aus sind wiederum knapp 11 000 Meter zu bewältigen, bis ich Rechlin erreiche.
Die erste Wade macht sich bemerkbar. Auch das Gesäß würde gerne mal was anderes sehen als den Sattel. Am Rechliner Hafen an der Kleinen Müritz halte ich an. Rund ums „Möwennest” flattern die ersten Camper ein und aus. Im Sommer dürfte es in der Hafengaststätte zugehen wie im Taubenschlag.
Idylle pur und Stadt-Feeling auf dem Müritz Radweg
Der Rest vom Müsliriegel muss dran glauben, und ich vertrete mir die Beine im staatlich anerkannten Erholungsort. Mit genug Erholung schwinge ich mich aufs Rad und nehme den weiteren Rundkurs in Angriff. Vietzen, Vipperow, Ludorf heißen die nächsten Stationen.
Hier finden Sie Unterkünfte am Müritz Radweg
Die echten Cracks würden noch das Stück über Neu Gaarz, Lärz und Buchholz dranhängen. Aber morgen ist auch noch ein Radeltag. Von Ludorf aus durchquere ich Röbel – und das erste Mal seit Waren überkommt mich plötzlich das Stadt-Feeling. Die Einsamkeit der Natur ist weit, weit weg.

Hinter Röbel an der Müritz nehme ich Peilung auf die Sietower Bucht – mir von einer Kollegin, in Sietow wohnhaft, wärmstens empfohlen. Und in der Tat: Auch die Westseite der Müritz hat ihre Reize. Im Hafen von Sietow Dorf wurde fleißig geschreinert und gewerkelt. Schließlich steht die neue Saison vor den Toren.

Bei einer steifen Brise gönne ich meinem Drahtesel eine Verschnaufpause und inspiziere das maritime Kleinod. Noch hätten hier einige Boote Platz. In der Aalräucherei „Zum Seeberg” ist der Name Programm. Wer‘s fischig liebt, is(s)t hier richtig. Serviert wird „Ein Stück Mecklenburg”, wie auf einem Schild zu lesen ist.
Endspurt von Klink nach Waren an der Müritz
Auf mich wartet derweil die stellenweise etwas hüglige und holprige Schlussetappe. Klink heißt das nächste Ziel, und ein kleiner Stopp am Schlosshotel ist allemal drin. Dann Endspurt Richtung Waren. Langsam macht sich die Muskulatur im Waden- und Po-Bereich bemerkbar, der Energie-Gehalt des Müsliriegels hat sich irgendwo zwischen Röbel und Sietow neutralisiert. Aber der Ehrgeiz hat mich gepackt. Die letzten Meter will ich auch noch meistern.

Und dann, endlich, die Silhouette von Waren kommt in Sicht. Das Volksbad, die Gerhart-Hauptmann-Allee und die Kietz-Brücke. Und als hätten sie sich Stunden später keinen Millimeter weit fortbewegt, schnattern die beiden Graugänse noch immer um die Wette. Während ich ächzend von meinem Gefährt steige und mich ans Brückengeländer klammere. Geschafft! Zurück in der Zivilisation – und reif für die Massagebank. Aber die vielen Eindrücke waren es wert. Florian Ferber