Tolle Theater-Tradition: Während der Sommerferien hat die Vorpommersche Landesbühne Hochsaison. Drei Monate lang wird zwischen Barth und Heringsdorf gespielt, getanzt, gesungen und gekämpft, was die Bühnenbretter halten. Einheimische und Gäste kommen bei den bunten Shows auf ihre Kosten. Stars wie Markus Maria Profitlich geben sich die Ehre, und die Zinnowitzer Eleven drehen richtig auf.
Sommer, Sonne, Sand und Meer – die Insel Usedom bietet ihren Gästen alles, was das Urlauberherz höher schlagen lässt: Faulenzen am Strand, aktiv-erholen in den Küstenwäldern, Naturparks und Freizeitanlagen aber auch volle Kanne Kultur und Klamauk in den Ferienorten Zinnowitz, Heringsdorf, Wolgast, Barth und in Anklam. In der Hansestadt an der Peene sind die Menschen im besten Sinne theaterverrückt. Seit 75 Jahren sorgt das Anklamer Theater dort mit leichten bis anspruchsvollen Stücken für Unterhaltung – und sogar für den einen oder anderen Skandal.

30 Jahre Vorpommersche Landesbühne
So hinterließ der große Regisseur Frank Castorf in den 1980er-Jahren als Oberspielleiter seine künstlerisch-provokanten Spuren am Theater Anklam: Bei einer seiner Inszenierungen („Trommeln in der Nacht“) kam es in der DDR zum Eklat, die zur Kündigung des späteren Berliner-Volksbühne-Intendanten führte. Ein junger, tatenfroher Theatermann, der aus Halle (Saale) stammende Wolfgang Bordel (1951–2022), übernahm die Intendanz in Anklam mit seinem ersten Stück „Der zerbrochene Krug“ (1983) und der Marschroute: „Die Anklammer sollen es gut finden“.

Einen Nordkurier-Nachruf auf Wolfgang Bordel können Sie hier lesen:
Frank Wilhelm: „Wolfgang, du fehlst schon jetzt“
Das ist dem Schauspiel-Schwergewicht Bordel, der ewigen Frohnatur, mit seinen insgesamt rund 150 Regiearbeiten bestens gelungen. Nach der Wende, als kaum einer einen Pfifferling auf das kleine private Theater im Anklamer Schützenhaus setzte, ging Wolfgang Bordel mutig in die Offensive: Er erkannte das Potenzial von Sommerbühnen in den Tourismushochburgen, gründete 1993 die Vorpommersche Landesbühne GmbH, kaufte ein altes Zirkuszelt und eröffnete im Kaiserbad Heringsdorf das Theaterzelt Chapeau Rouge als zweite Spielstätte.
Schöbel, Gysi und Kaminer lesen im Theaterzelt
Seit drei Jahrzehnten werden in dieser nur wenige Hundert Meter östlich der Seebrücke Heringsdorf gelegenen Manege attraktive Bühnenprogramme gezeigt. Aktuelle Stücke aus dem Repertoire der Vorpommerschen Landesbühne gehören im Sommer 2023 genauso zu den Höhepunkten im Zelt wie Kabarett-Abende unter anderem mit der Dresdner Herkuleskeule oder unterhaltsame Lesungen von Frank Schöbel, Gregor Gysi oder Wladmir Kaminer. Für Groß und Klein gibt es zudem den „Gestiefelten Kater“ als Puppentheater (wieder am 25. August 2023).

Was Donald Trump mit Vineta zu schaffen hat
Mitte der 1990er-Jahre landeten Wolfgang Bordel und sein Team auf Usedom den nächsten Theater-Coup: Im Ostseebad Zinnowitz veranstaltete die Vorpommersche Landesbühne 1997 erstmalig die Vineta-Festspiele auf der großen Freilichtbühne nahe der Strandpromenade. Die Sage um Vineta ist gewissermaßen das „Atlantis der Ostsee“, eine anno dazumal in den Meeresfluten versunkene reiche Handelsstadt.

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Hype um die Vineta-Festspiele auf Usedom hält an
Die ebenso vergnüglichen wie actionreichen Geschichten um Kaufleute, Gaukler, Helden und Elfen stammten 25 Jahre lang aus der Feder des Meisters; und der Bordel hat sie stets mit aktuellen Bezügen und Spitzen angereichert und so einen komplexen Vineta-Kosmos erschaffen, den posthum weder Fans noch Ensemble vollständig zu entschlüsseln vermögen. Die neuen Intendanten Anna Engel und Andreas Flick setzen die Bordelsche Linie fort, aber mit eigener Duftnote und Logik. Pointen gibt es auch 2023 in „Das Geheimnis der Unterstadt“: So bekommt man diesmal bisweilen den Eindruck, Ex-US-Präsident Donald Trump (und dessen ureigene Masche der Massenbeeinflussung) würde zum Wiedergänger in Vineta …
Vorm Fischland-Darß-Zingst sind die Wikinger los
Wo genau Vineta einst versunken ist, ob vor der Insel Usedom oder vor der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst, oder ganz woanders oder nirgendwo – das bleibt wohl ein ewiges Rätsel. Die Vorpommersche Landesbühne veranstaltete 1999 jedenfalls zum ersten Mal Vineta-Festtage auch im 100 Kilometer westlich von Zinnowitz gelegene Städtchen Barth, dem Tor zum Darß. Seither begeistern die Anklamer dort mit wechselnden Shows; im Sommer 2023 rückten in „Die Wikinger – Tanz im Schatten“ wilde Gesellen ins Rampenlicht, dargestellt von Martha Tham, Reiko Rölz und Studenten der Theaterakademie Vorpommern.

Für die Eleven der Zinnowitzer Schauspielschule ist der Sommer das Jahres-Highlight schlechthin, da sie an mehreren Spielstätten nun endlich ihr Talent und erworbenes Können unter Beweis stellen dürfen – und zwar auch in Gesang, Kampfszenen und Tanz. Die Spielfreude des Nachwuchses ist 2023 einmal mehr beispiellos, vielleicht auch befeuert durch die Corona-Pausen während ihrer dreijährigen Ausbildungszeit … Der eine oder die andere dieser Eleven wird von sich hören machen!
In einer alten Strandkorbhalle gibt es Theater
Doch Zinnowitz auf Usedom hat noch eine zweite Spielstätte: Im gelben Theater „Die Blechbüchse“, einer ehemaligen Lagerhalle für Strandkörbe, finden seit 1997 neben regulären Stücken der Vorpommerschen Landesbühne auch Gastspiele statt. Am 20. August 2023 zeigt der aus der „Wochenshow“ und „Mensch Markus“ bekannte Markus Maria Profitlich in der Blechbüchse „Einmal Alles, das Beste aus 35 Jahren“, am Tag darauf gastiert der Comedian damit im Heringsdorfer Chapeau Rouge.

Für Fans von locker-leichter Kost hat die Vorpommersche Landesbühne zwei weitere (!) Sommer-Spielstätten. In Wolgast werden jedes Jahr Komödien wie „Ein irrer Duft von frischem Heu“ (nach einem Lustspiel von Rudi Strahl) oder aktuell „Sonnenallee“ (nach Thomas Brussig) mit stimmungsvoller Musik und jede Menge Tanz und Spielspaß hauptsächlich von den Schauspielstars von morgen dargeboten. Regie führt in aller Regel die großartige Birgit Lenz. Für 2024 bereitet die Regisseurin das Kultmusical „Ladies Night – Ganz oder gar nicht“ vor. Ein Stück, in dem die Herren der Schöpfung alle Hüllen fallen lassen …

Am Ende des Sommers brennt die Peene
Zum krönenden Abschluss der Sommerspielzeit in Vorpommern haben sich die Anklamer seit Jahren ein besonderes Schmankerl aufgehoben: In den ersten zwei Septemberwochen lässt die Vorpommersche Landesbühne nämlich die Peene brennen. In der Geschichte Pommerns war der Küstenfluss tatsächlich des Öfteren ein umkämpfter Grenzfluss: So besetzten die Schweden etwa im 17. Jahrhundert weite Teile Vorpommerns, und sie lieferten sich Gefechte und Kanonenfeuer mit den Preußen.

Für Theatergenie Wolfgang Bordel bot das Gestern jedenfalls genug Material für spannende Unterhaltungsbögen ins Hier und Heute. In dem vergnüglichen Historien-Spektakel sind Laien aus der Region in fast allen Rollen zu erleben – und laufen dabei zu Höchstform auf. „Das Fest der Peenefischer“ wird vom 1. bis 8. September 2023 im Anklamer Hoftheater gefeiert. Diesmal leidet die stolze Hansestadt unter der Herrschaft von Schweden und Brandenburg. Gelingt es den Bürgerinnen und Bürgern, ihre kleine Stadt an der Peene aus den feindlichen Händen zu befreien? Die Vorpommersche Landesbühne wird es zeigen …
Text: Sirko Salka