Spöttisch wurde das damalige Herzogtum Mecklenburg-Strelitz schon mal als Fliegendreck auf der Landkarte bezeichnet. Dabei kamen aus der kleinen Adelsfamilie mit Sophie Charlotte und Luise zwei moderne Frauen, die später die europäische Politik bestimmten. Inwiefern der Einfluss von Königin Luise bis heute spürbar ist, beantworten wir im ersten von zwei Teilen über die berühmten mecklenburgischen Prinzessinnen.
Sie war die „Königin der Herzen“ und eine attraktive Frau, der alle zujubelten. Ihr Modebewusstsein war legendär und trotz allen Glamours war sie eine liebevolle Mutter. Nein, es ist nicht die Rede von Diana, Princess of Wales. Und auch nicht von „Sisi“, der Kaiserin Elisabeth von Österreich. Die Rede ist von einer anderen Märchenkönigin, einer, die in Vergessenheit geraten ist: Luise von Preußen, geboren 1776 in Hannover als Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz, gestorben 1810 im mecklenburgischen Hohenzieritz auf dem Herrensitz ihrer Eltern als Königin von Preußen.
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Königin Luise war die „Königin der Herzen“
Als „Königin der Herzen“ wurde sie vom frühromantischen Dichter August Wilhelm Schlegel schon zu Lebzeiten betitelt. Und zu ihrer Zeit war sie ein Star: Sie wurde so oft abgebildet und als Skulptur geformt, dass man heute kaum noch sagen kann, welche Farbe ihr Haar nun wirklich hatte. Und als sie mit nur 34 Jahren starb, säumten unzählige Trauernde den Weg ihres Leichnams, der von ihrem Sterbeort in Mecklenburg über das brandenburgische Gransee nach Berlin gebracht wurde.
Mit ihren 1.74 Meter Körpergröße war sie – für ihre Zeit – eine große Frau und machte mit Konfektionsgröße 34-36 eine gute Figur, die sie gerne nach Herzenslust ausstaffierte. Monatlich 1000 Taler „Nadelgeld“ standen ihr zur Verfügung, was ihr – so ist es in Briefen an ihren Gatten Friedrich Wilhelm überliefert, nicht genügte. Königin Luise, die gerne als „volksnah“ verklärte preußische Königin, war ein „Fashion Victim“, und wenn es sein musste, ließ sie sich auch mal die neuesten Gewänder aus Paris mit einem Boten zu Pferde einreiten.
Szenen wie in einem Sisi-Film mit Romy Schneider
Schon ihre Ankunft in Berlin im Dezember des Jahres 1793 hätte auch eine schöne Szene in einem der „Sisi“-Filme mit Romy Schneider sein können: Ein kleines, weiß gekleidetes Mädchen begrüßte die Prinzessin mit einem Gedicht – und Luise war davon so berührt, dass sie es einfach, entgegen des Protokolls, hochhob und küsste.
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Luise, so wurde später kolportiert, sei ein in unkomplizierten, „einfachen“ Verhältnissen groß gewordenes Mädchen gewesen, das dann von einem Tag auf den anderen mit den Förmlichkeiten bei Hofe habe zurechtkommen müssen. Wieder ganz wie „Sisi“ / Romy Schneider im bayerischen Possenhofen, und die gestrenge Hofdame, Sophie Marie von Voß, die man ihr zur Seite gestellt habe, erinnert entfernt an die böse Schwiegermutter Erzherzogin Sophie, den Drachen aus der Wiener Hofburg.
Im richtigen Leben wurde die Hofdame von Voß zu einer Vertrauten und Ratgeberin (ihre Tagebücher sind erhalten, während die von Luise unauffindbar sind), doch in der Tat lebten Luise und ihr Friedrich Wilhelm ein eher lockeres Leben in der damals noch überschaubaren Residenzstadt Berlin. Am Hofe duzte man sich, oft sah man sie ohne Gefolge auf dem Boulevard Unter den Linden spazieren gehen. Oder auf dem Weihnachtsmarkt. Die beiden teilten sogar – nicht selbstverständlich in Adelskreisen – das Schlafzimmer miteinander.
Luisenkult ist im Schloss Charlottenburg allgegenwärtig
Die Ehe war zwar, wie damals üblich, arrangiert worden, doch die beiden hatten einander gefunden. Nach einer Phase intensiven Partylebens in der preußischen Hauptstadt – Luise tanzte gerne Walzer, der aufgrund des intensiven Körperkontakts als unschicklich galt – machte sich das Paar an die Erfüllung seiner Pflichten: Zehn Schwangerschaften begleiteten Luise in ihrem kurzen Leben, sieben Kinder brachte sie durch. Das Familienleben trat nun in den Vordergrund und die Liebe des Städters Friedrich Wilhelm zum Naturidyll konnte mehr Raum einnehmen.
Von nun an verbrachte das Paar viel Zeit auf der Pfaueninsel zwischen Berlin und Potsdam – legendär auch das Gut Paretz, auf dem die beiden sozusagen Bauernhof spielten. Manchmal soll Luise den Angestellten sogar bei der Zubereitung des Pflaumenmuses geholfen haben. Landlust.
Wer den „Luisenkult“ erfassen möchte, muss das Schloss Charlottenburg in Berlin aufsuchen. Genauer: dessen Gartenanlagen. Denn dort im weitläufigen Park des Schlosses befindet sich das Mausoleum der Luise, erschaffen von Heinrich Gentz unter Mitwirkung von Karl Friedrich Schinkel.
Von außen abweisend bis trutzig wirkend zieht es viele Besucher an – und wer kein Eintrittsticket für das Schloss erworben hat (in dem etwa das von Schinkel gestaltete Schlafzimmer der Luise besichtigt werden kann), muss nun gesondert zahlen, ein Wachmann ist für das Mausoleum abgestellt, auch damit es keinen Schaden erleidet: Die Grabskulptur Luises von Christian Daniel Rauch gilt als ein Meisterwerk der Berliner Bildhauerschule – und ihre Schönheit erschließt sich auch dem Laien ganz unmittelbar. Der trauernde preußische König hatte persönlich über die Ausgestaltung des Mausoleums und der Skulptur gewacht, bis auch er schließlich 1840 seinen Frieden an der Seite seiner Frau fand. Mit der er einiges zusammen durchgemacht hatte.
Königin Luise und Napoleon
Die 1797 beginnende Regentschaft Friedrich Wilhelm III. und seiner Königin Luise war recht bald einer schweren Belastungsprobe ausgesetzt: Im Jahr 1806 standen Napoleons Truppen an Preußens Grenzen. Nachdem bereits der Rheinbund gegründet war und 19 süddeutsche Fürsten aus dem (Heiligen Römischen) Reich ausgetreten waren, blieb nun Preußen als führende Macht des Widerstandes übrig – und verlor ein um das andere mal. Den neuartigen Techniken der napoleonischen Invasionsarmeen hatten die Preußen nichts entgegenzusetzen.
Zu Beginn der kriegerischen Auseinandersetzungen hatte Luise ihren Mann zunächst in das militärische Hauptquartier begleitet – ein aufsehenerregender, ungewöhnlicher Schritt, der auch die Franzosen beeindruckt hatte. Als es dort zu gefährlich wurde, zog sie sich nach Berlin zurück. Doch schon wenig später musste Luise mitsamt dem Hof vor den anrückenden Truppen in das ostpreußische Königsberg – und ein Jahr später bis in den äußersten Zipfel Preußens, nach Memel.
Dort in Ostpreußen kam es nun zu jenem „Treffen von Tilsit“, das den späteren nationalen Mythos der Königin begründen sollte. In einem weißen Kreppkleid traf sich die um einen Kopf größere Luise mit dem zwar kleinwüchsigen, aber als charmant geltenden französischen Heerführer. Der Erzählung nach hatte sich die Königin im Rahmen dieses Treffens selbstbewusst für einen fairen Frieden zugunsten Preußens eingesetzt – den ihr Napoleon auch fast gewährt hätte, wäre nicht der eifersüchtige Gatte allzu früh in den Raum gestürmt.
Zumindest behauptete Napoleon dies später in seiner Zeit als Gefangener auf St. Helena: Fast sei er nicht mehr in der Lage gewesen, der charmanten Königin und ihrem Begehr zu widerstehen: „Noch eine halbe Stunde mit ihr und ich hätte ihr ein Königreich zu Füßen gelegt“. Auch zeigte er sich im Nachhinein fasziniert ob der Entschlossenheit der jungen Frau, die „Blut habe sehen wollen“. Entsprechend ungut sah der preußische König in dieser Geschichte aus, dem fürderhin Zauderlichkeit, Unentschlossenheit – ja Weichheit unterstellt wurde, während Luise von nun an zu einer Art preußischer Jeanne d‘Arc stilisiert wurde.
Luise stirbt mit 34 Jahren auf Schloss Hohenzieritz
Der preußische Orden des „Eisernen Kreuzes“, das als Symbol noch heute in der Bundeswehr Verwendung findet, wurde – nach ihrem Tod – ihr zu Ehren gestiftet. Am 10. März 1813, Luises Geburtstag, wurde ihr das erste „Eiserne Kreuz“ durch ihren Witwer verliehen – im Rahmen einer allgemeinen deutschen Erhebung gegen die napoleonische Fremdherrschaft. Luise galt als große Befürworterin des Freiheitskampfes der Deutschen – nach ihrem Tod wurde sie zu einer Heldin dieses Kampfes stilisiert. Auch wenn sich Historiker einig darin sind, dass ihr Einfluss eher geringer Natur war.
Tatsächlich überliefert ist, dass Luise in der Zeit des Exils Kontakt zu den Reformern Preußens suchte, zu Hardenberg, dem Nachfolger des Reichsfreiherrn vom Stein – aber dass Napoleon den Preußen nach dem Treffen in Tilsit bessere Bedingungen im gleichnamigen Frieden zugestanden hätte, entspricht nicht den Tatsachen. Im Gegenteil war es ein harter Frieden: Preußen verlor die Hälfte seines bisherigen Territoriums, musste zudem hohe Kontributionen zahlen und durfte nur noch in einem beschränkten Rahmen eine Armee unterhalten. Erst am 23.12. 1809, einen Tag vor Weihnachten, konnte das preußische Königspaar nach Berlin zurückkehren. Und schon ein halbes Jahr später starb Königin Luise während eines Besuches bei den Eltern im mecklenburgischen Hohenzieritz.
Luises Tod war ein „Schock für Preußen“
Im Nachhinein hieß es, dass die tapfere Luise, Kämpferin für Preußen und für das erst viel später entstehende Deutsche Kaiserreich unter preußischer Vormacht, an gebrochenem Herzen gestorben sei. Eigentlich aber war es ein bösartiger Tumor, der ihrer Lunge zugesetzt hatte und wohl auch bereits auf den Herzmuskel übergegriffen hatte. Ihr Tod war ein Schock für die Preußen. Nicht nur der Ehemann, auch das Volk war tief ergriffen. So entschloss sich die Gemeinde Gransee, ein Denkmal für die verstorbene Luise zu errichten, weil ihr Leichnam dort für eine Nacht auf dem Weg von Hohenzieritz nach Berlin aufgebahrt worden war. Alles wurde mit freiwilligen, nicht-öffentlichen Mitteln errichtet: Schinkel lieferte den Entwurf, die Eisengießerei Berlin schließlich das Denkmal.
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Von nun an waren dem Luisenkult keine Grenzen gesetzt. Im Laufe der deutschen Nationenbildung wurde die schöne Luise immer stärker instrumentalisiert im Rahmen der nationalistisch- militaristischen Auseinandersetzungen mit Frankreich. Nun endlich sei Luise gerächt – so erzählte man sich nach dem Sieg über Frankreich und der Gründung des Deutschen Reichs. Mit dem Ende Preußens nach dem Zweiten Weltkrieg erlosch der Kult um Luise schließlich allmählich.
Zuvor war sie noch einmal in Veit Harlans 1945 erschienenem Durchhalte-Propagandafilm „Kolberg“ aufgetaucht, in dem sie um ein „Wunder“ bat. Eine westdeutsche Nachkriegsproduktion aus dem Jahr 1957 mit Ruth Leuwerik als Luise floppte jedoch komplett. „Sisi“ wurde nun dank der Verfilmungen mit Romy Schneider zur Märchenkönigin. Und ganz ohne Film aber doch dank der Medien Diana, Princess of Wales, zur „Königin der Herzen“ des 20. Jahrhunderts.
Leckere Luisentorten in Berlin und Hohenzieritz
Heute interessieren sich wieder mehr Menschen für das Leben der Luise und ihrer Tante Sophie Charlotte – und das Schloss Hohenzieritz profitiert davon, es ist ein beliebtes Ausflugsziel. Auch wenn das bis 1945 gut erhaltene Interieur in den Nachkriegswirren fast komplett zerstört wurde, kann man an diesem Ort doch noch einige Spuren finden. Der Garten zum Beispiel wurde von Luises Vater Carl einst im englischen Stil angelegt, als einer der ersten auf dem Kontinent – und ganz sicher wurde er dazu durch Besuche bei seiner Schwester Sophie Charlotte in Kew Gardens inspiriert.
Und das Sterbezimmer der Luise, bis 1945 ein Wallfahrtsort und nach den Plünderungen zu DDR-Zeiten als Büroraum genutzt, wurde in den Neunziger Jahren durch den Schlossverein Hohenzieritz rekonstruiert. Zu sehen ist nun auch wieder ein Neuabguss des Sarkophags des marmornen Kopfstücks der Königin Luise von Rauch. Im Berliner Museumsshop zu Charlottenburg kann man immerhin kleine Luise-Nippes-Büsten kaufen.
Beim Besuch von Hohenzieritz können Sie im Café Louisenstübchen (Dorfstraße 41, geöffnet Di-Do, 11-17 Uhr und Sa+So 14-18 Uhr Uhr) einkehren – und zum Beispiel das Luisentörtchen genießen. Das ist eine dreiteilige Köstlichkeit mit einer leckeren Schicht Himbeermarmelade.
Tipp der Redaktion
Im Museums-Café gibt es eine sehr süße, fette „Luisentorte“ mit Schokolade und Orange und einem Luisenbild aus Marzipan oben drauf. „Das Bild können Sie mitessen“, so steht es in der Speisekarte geschrieben. Wie sagte doch Theodor Fontane, der große preußische Chronist im Jahr 1892 so schön: „Mehr als von der Verleumdung ihrer Feinde hat sie von der Phrasenhaftigkeit ihrer Verherrlicher zu leiden gehabt.“
Text: Martin Reichert*
* Am 26. Mai 2023 starb der Berliner Journalist Martin Reichert (taz). Mit der erneuten Veröffentlichung seines Gastbeitrags für die Nordkurier Mediengruppe über die mecklenburgischen Prinzessinnen möchte ich an einen großartigen Kollegen und lieben Freund erinnern. Sirko Salka, Nordkurier Mediengruppe