Sie ist das wohl versteckteste Fleckchen auf der Sonneninsel: Die Landzunge Lieper Winkel liegt nordöstlich des Städtchen Usedom und wird flankiert von Achterwasser und Peenestrom. Was das idyllische Nirgendwo mit schönen Jungfrauen verbindet und warum es heute ein Paradies für Mensch und Tier ist, berichtet Sandra Grüning.

Die Legende von den wunderschönen Jungfrauen

Vier wunderschöne Jungfrauen sollen es gewesen sein, die an einem Sonntag von Rankwitz über den kleinen Berg hinter dem Dorf zur Lieper Kirche in den Gottesdienst gehen wollten. Doch oben auf dem Hügel begegnete ihnen ein Spielmann, der sie zum Tanzen aufforderte. Die jungen Frauen taten nichts lieber als das und vergaßen darüber vollkommen die Zeit. Gegen Mitternacht verwandelte sich der Spielmann plötzlich in den leibhaftigen Teufel. Der Berg unter den Vieren tat sich auf und verschlang sie alle auf einmal.

„Und wenn man genau hinhört, kann man sie bei Wind oder Nebel noch heute unter dem Berg über ihr Unglück weinen hören“, erzählt Marina Sundmacher die Legende um den 18 Meter hohen Jungfernberg, der höchsten Erhebung des Lieper Winkels. Marina Sundmacher ist selbst ein echtes Lieper-Winkel-Urgestein. Und sie kennt so viele Geschichten über die Halbinsel, dass man nicht müde wird, ihr zuzuhören.

Ein krasser Kontrast zu den mondänen Seebädern

Ganz gleich, ob sie über den Silberschatz von Quilitz spricht, den der Bauer Albert Fink beim Sandabfahren zufälligerweise gefunden hat, oder über das alltägliche Leben der Menschen – Marina Sundmacher kennt sich aus. Da ist es nicht verwunderlich, dass die Besucher des Heimathofes am Ortseingang von Rankwitz jedes Mal begeistert aufbrechen und den Lieper Winkel mit anderen, offeneren Augen für sich entdecken wollen.

Der verträumte Hafen Rankwitz ist im Süden der kleinen Halbinsel Lieper Winkel. Von hier aus kann man einen herrlichen Blick auf den Peenestrom genießen.
Der verträumte Hafen Rankwitz ist im Süden der kleinen Halbinsel Lieper Winkel. Von hier aus kann man einen herrlichen Blick auf den Peenestrom genießen. Fotos: Henry Böhm

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Der Lieper Winkel, das ist jenes urig idyllische Fleckchen Usedom, das von den meisten auf dem Weg in die mondänen Seebäder links liegen gelassen wird. Denn er hat keinen weißen Ostseestrand, ist weit ab vom Schuss, hat keine touristischen Highlights zu bieten und ist auch sonst eher ein Ruhepunkt. Aber die kleine Halbinsel im Süden von Usedom hat dafür anderes in petto: kleine, verträumte Dörfchen, schilfgesäumte Buchten, die älteste Kirche der Insel, jede Menge Natur und eben den Heimathof in Rankwitz.

Im restaurierten Heimathof finden Veranstaltungen statt

Das Museum „Heimathof Lieper Winkel“ ist im ehemaligen Rankwitzer Schulgebäude von 1895 untergebracht. Der Heimatverein Lieper Winkel, der das Museum liebevoll betreut, hat die alte Schule mit viel Engagement saniert und restauriert. „Wir hatten zum Glück einen großen Fundus an Fotos aus der alten Schulzeit“, erklärt der Vereinsvorsitzende Klaus Kögler.

Mit deren Hilfe konnte das alte Gebäude wieder genauso hergestellt werden, wie es einmal ausgesehen hatte. Inklusive altem Klassenzimmer. Seit 2020 wird der Heimathof als Mehrzweckhaus genutzt – als Museum, als Informationszentrum, aber auch als Veranstaltungsort. Hier wird geklönt, gefeiert und um die Weihnachtszeit so manches Plätzchen gebacken.

Die meisten der ausgestellten Exponate sind Originale aus dem Lieper Winkel. Ob Landwirtschaftsgeräte, Fischerkram, antike Küchengeräte, Webstühle, Spinnräder, das Plumpsklo aus dem Altenteil, eine prall gefüllte Aussteuertruhe, die Kinderecke mit altem Spielzeug oder auch die Reeperbahn – alles darf angefasst und ausprobiert werden. „Wir wollen schließlich ein Museum zum Anfassen sein“, sagt Marina Sundmacher.

Peenestrom war einst Staatsgrenze zwischen Schweden und Preußen

Dreimal in der Woche öffnet der Heimathof seine Türen für Winkel-Entdecker und lädt sie ein, im alten Klassenzimmer in einer der drei Schulbänke Platz zu nehmen und sich mit Zeigestock und alter Landkarte, etwas über den Lieper Winkel erzählen zu lassen.

Hier erfährt man zum Beispiel, dass die mehr als 700-jährige Suckower Eiche einst die Grenze zum Lieper Winkel markierte und dass die Halbinsel noch bis vor einhundert Jahren keine Verbindungsstraße zum Rest von Usedom besaß, also völlig autark war. Viel mehr fuhren die Lieper Winkelschen Landsleute mit Booten oder Schlitten über den Peenestrom in die Festlandortschaften des Lassaner Winkels.

Der Peenestrom, der im 18. Jahrhundert sogar Staatsgrenze zwischen Schweden und Preußen war, sorgte für ausreichend Fisch und war Tummelplatz für einen florierenden Schmuggel. Viele Geschichten und Sagen ranken sich um den zwar illegalen, doch reich machenden Handel. Hatte der Schmuggel das eigene Säckel gut gefüllt, trugen Mann und Frau den eingeheimsten Reichtum gern zur Schau.

So war es im Lieper Winkel üblich, alle Hosen oder Röcke, die man besaß, übereinander zu tragen. Bei sehr reichen Winkelschen sah das ganz sicher zum Schießen aus. Eine eindrückliche und bildreiche Beschreibung dessen liefert Wilhelm Meinhold, der Verfasser der Bernsteinhexe, in seinen humoristischen Reisebildern von der Insel Usedom aus dem Jahre 1837.

Das Besteigen des Jungfernberges ist ein Muss

Nach einem gemütlichen Kaffee und viel Wissenswertem im Kopf kann die Entdeckungstour losgehen. Mit dem Rad oder auch zu Fuß lässt sich der Lieper Winkel am besten erkunden. Selbstredend ist das Besteigen des Jungfernberges gleich hinter dem Dorf Rankwitz jetzt ein Muss. Hat man den Gipfel in 18 Metern Höhe erreicht, ist der Ausblick über die verwinkelten Buchten und die weiten Wiesen ein adäquater Lohn für die Aufstiegsmühen. Nicht vergessen: Ins Gipfelbuch eintragen! Wer neugierig ist, kann darin Augenzwinkerndes über die beschwerlichen Aufstiege andere Gipfelstürmer erlesen.

Im Rankwitzer Hafen gibt es nicht nur guten und frischen Fisch, sondern auch die romantischsten Sonnenuntergänge des Winkels zu erleben. Frisch gestärkt und mit ausreichend regionalem Proviant aus dem Rankwitzer Dorfladen geht es zur ältesten Kirche der Insel Usedom, in die St. Johannes-Kirche nach Liepe. Die kleine Kirche aus Feldsteinen wurde bereits 1216 das erste Mal erwähnt.

Damals hatte die Kirche noch einen Turm. Allerdings stürzte der 1792 nach einem Gottesdienst ein. Also stellten die Lieper ihre Glocken einfach neben die Kirche. Sieht ja auch viel schöner aus, wenn die Besucher durch die uralte Baum-Allee direkt auf den Glockenstuhl und den Eingang zugehen. Auf dem ehemaligen Friedhof sind Skulpturen von regionalen Künstlern ausgestellt.

Der Lieper Winkel ist ein Paradies für Tiere

Das Mini-Dorf Quilitz ist eines der schönsten der acht Örtchen im Lieper Winkel. Alte, reetgedeckte Fachwerkhäuser begrüßen den Besucher schon am Ortseingang. Gerade einmal 59 Einwohner zählt das Dorf. Hier gibt es einen kleinen Badestrand und ein Steilufer mit Blick auf den Peenestrom. Ob Seeadler oder Eisvogel – die Buchten des Lieper Winkels sind ein Paradies für Tiere. Vor allem Wasservögel tummeln sich in ihnen zuhauf.

Auf dem Weg nach Grüssow kommt man an Reestow vorbei. Genau hier, mitten im Nirgendwo, lebt das Künstlerpaar Ulrike Hoffmann und Wolfgang Baumann. Die Möbeldesignerin und der Bildhauer erschaffen in den Werkstätten auf ihrem Hof wundervolle Kunstwerke. „Wir freuen uns, wenn die Menschen zu uns finden und neugierig sind“, sagt Ulrike Hoffmann, die den Austausch mit anderen Künstlern, aber auch mit interessierten Besuchern liebt.

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Ein wenig versteckt, aber der wohl idyllischste Ort im Lieper Winkel ist das Hofcafé Landlust in Grüssow. In seinem Obstgarten lassen sich der Stress und die Hektik des Alltags schnell vergessen. Augen zu und wohlfühlen. Die Schwalben zwitschern lautstark unter dem Gebälk der alten Scheune und die Frösche geben sich im Schilf des Achterwassers ein gesungenes Stelldichein. Die Kuchen des Cafés werden von der Chefin des Hauses selbst gebacken. Die Rezepte stammen größtenteils von den Grüssowern selbst. Beim Schwelgen in Kuchengenüssen und Winkel-Erlebnissen können darum aus einem kurzen Zwischenstopp schnell einmal mehrere Stunden werden.

Text: Sandra Grüning